Sonnenaufgang aus Sicht einer Königin.
Das Sujet zahlloser Ferienfotos und Ausblick auf 24 der 26 Kantone: Die Rigi hat ihren inoffiziellen Titel als Königin der Berge nicht von ungefähr. Lohnt es sich für den Sonnenaufgang aus der Perspektive einer Königin um 04:00 Uhr aufzustehen?
PROJEKTINFOS
Das Sujet zahlloser Ferienfotos und Ausblick auf 24 der 26 Kantone: Die Rigi hat ihren inoffiziellen Titel als Königin der Berge nicht von ungefähr. Lohnt es sich für den Sonnenaufgang aus der Perspektive einer Königin um 04:00 Uhr aufzustehen?
Samstag, 7. Oktober 2023, 07:42 Uhr: Die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen den beleuchteten Horizont über dem Lauerzersee. Die sanften Schatten sind schier unendlich lang. Die Sonne erklimmt unermüdlich den Horizont in den Morgenhimmel. Nur fünf Minuten nach den ersten Sonnenstrahlen ist die ganze Kugel der Sonne erstmals über den Bergspitzen sichtbar. Rund zehn Stunden wärmt und beleuchtet die Sonne nun die Rigi.
Exakte Vorbereitung ermöglicht Naturspektakel
Solch ein stilles Naturspektakel erleben zu können, muss verdient sein. Der Wecker klingelt um 04:00 Uhr. Nach der Anfahrt auf die Seebodenalp im Dunkeln ging die Wanderung planmässig um 05:15 Uhr los.
Ausser dem Kies unter den Wanderschuhen und den Atemgeräuschen durchdringt nichts die nächtliche Stille. Die Nacht hüllt die Umgebung in tiefe Dunkelheit, begleitet von mystischer Stille. Mit jedem Schritt gewöhnen sich die Augen etwas mehr daran, während die Stirnlampe einige Meter vor Janine beleuchtet.
Die Begleitperson: Janine Bumann
Seit Janine denken kann, sieht sie die Rigi in ihrer majestätischen Grösse. Und das direkt von ihrem Zimmerfenster aus. Sie betont, was ihr an der Rigi besonders gefällt:
«Ich war schon immer ein Fan von der schönen Form mit dem Turm auf dem Gipfel der Rigi.»
Ihre Grosseltern wohnten in Küssnacht am Rigi, also direkt unterhalb der Königin. Kaum lernte sie zu gehen, begleitete sie ihre Grosseltern auf ihren Hausberg, um die über 35 km Wanderwege zu entdecken. Ihre Motivation sei nicht immer so hoch gewesen wie heute, meint Janine schmunzelnd. Heute ist sie eine erfahrene Berggängerin. Die Routen auf der Rigi sind unterdessen nicht mehr das Mass aller Dinge für ihre Fähigkeiten. Längere und schwierigere Wanderungen sind unterdessen an der Tagesordnung. Dennoch kommt sie immer wieder gerne nach Hause und entdeckt die Zentralschweizer Alpen.
Kieswege und Kleidungstaktiken gegen konditionelle Anstrengung
Der Puls wird schneller, die Atemgeräusche lauter. Der ganze Wanderweg ist mit Kies aufgefüllt und an steilen Stellen sind Holztritte angebracht. Die Wege ähneln eher Spazierwegen als Hochgebirgstouren. Der Anstieg ist trotz des guten Zustands des Weges konditionell nicht zu unterschätzen. Der 1h 45 min dauernde Aufstieg stuft Janine als konditionell mittelschwer ein.
Beim Start trägt sie drei Schichten: T-Shirt, Pullover und Jacke, dazu noch Thermo-Unterwäsche, Mütze und Handschuhe. Schon bald kann sie allerdings die äusserste Schicht ablegen, da die Körpertemperatur bei der Anstrengung vehement gegen die tiefen Aussentemperaturen ankämpft. Durch die ausgezogenen Kleiderschichten wird allerdings der Rucksack auf ihren Schultern immer schwerer. Darin befindet sich bereits der Proviant für den Mittag, einschliesslich einer warmen Bouillon als Gipfeltrunk. Bis der genossen werden kann, stehen jedoch noch einige Höhenmeter an.
Stille spätsommerliche Natur
Kurve für Kurve geht es bergauf, ohne viel von der Flora und Fauna der Rigi zu sehen. Da fast Neumond ist, dringt fast kein Licht durch die dichten Bäume des Waldes. Wie manchen Sturm mögen die ältesten dieser Bäume wohl schon überstanden haben? Die einzige Begegnung auf dem Weg nach oben sind ein leuchtendes Paar Augen in einer Waldlichtung. Vermutlich ein Reh. Später, nach Sonnenaufgang, wird sich die Rigi doch noch als Lebensraum offenbaren. Zumindest für verschiedene Pflanzenarten. Auf den Wiesen, die sich im sanften Wind wiegen, verschmelzen die Grün- & Goldtöne miteinander. Die farbigen Blumen lassen einen fast glauben, dass sich der Sommer noch nicht ganz verabschiedet hat. Ein besonderer Herbst, findet auch Janine:
«Die Natur hat sich noch nicht Gelb und Orange verfärbt, sondern strahlt noch in leuchtendem Grün.»
Die meisten Tiere verhalten sich allerdings der Jahreszeit entsprechend still und ruhig. Nebst dem Gezwitscher einiger Vögel herrscht tiefe Stille.
Auswirkungen des Tourismus
Für das Fehlen der Murmeltiere, Eidechsen und Schmetterlinge ist nicht allein die Jahreszeit verantwortlich. Die Rigi sei sowohl bei einheimischen als auch bei ausländischen Touristinnen und Touristen ein sehr bekanntes und beliebtes Ausflugsziel, erklärt Janine. Die Rigi-Bahnen befördern während der Hochsaison bis zu 18’000 (!) Berglerinnen und Bergler pro Tag auf die Rigi (RigiPlus AG/RIGI BAHNEN AG, 2019). Die Tiere ziehen sich in ruhigere Gebiete zurück, die von Wegen und Schienen unberührt sind. Anfang Oktober ist das Touristenaufkommen nicht mehr so extrem. Dennoch kann von einer Wanderung in unberührter Natur nicht die Rede sein.
Aus dem Wald, in das Licht
In den frühen Morgenstunden ist vom Massentourismus noch keine Spur zu sehen. Janine gewinnt zügig an Höhe. Schon bald lässt sie den Wald hinter sich und das grosse Ziel tritt in Erscheinung: Der Sendemast auf Rigi Kulm. Die letzten Höhenmeter verliefen deutlich flacher und auf breiten Wegen, bemerkt sie . Gruppen von kleinen Sträuchern säumen ihren Weg. Wo auch immer sie ihre Schuhe hinsetzt, findet sich feiner Kies oder sogar gepflasterter Untergrund. Wanderschuhe könnten hier auch den Sneakern weichen, aber:
«Vor allem bei nassem Boden bieten Wanderschuhe mehr Halt.»
Auf dem Gipfel angekommen, öffnet sich eine grandiose Aussicht zu ihren Füssen. Auf den Sternenhimmel über und das Lichtermeer unter ihr.
Ein frostiger Lichtblick vor dem Hauptakt
Kurz vor dem Sonnenaufgang ist es bekanntlich am kältesten. Auf fast 1800 Höhenmetern steigt das Thermometer um diese Uhrzeit nicht über neun Grad Celsius. So schnell wie die Schichten beim Hinaufsteigen ausgezogen wurden, werden sie jetzt ebenso rasch wieder angezogen. Brauchen kann Janine sie jetzt dringender denn je. Die Kälte in den Knochen – die Schönheit dieser Welt vor Augen. Die Konturen der Berge zeichnen sich unter dem Nachthimmel langsam ab. Der orange-gelb leuchtende Streifen am Horizont wirke wie ein Vorbote dieses wunderschönen Herbsttages, findet Janine. Unter ihm leuchten die letzten Strassenlaternen und die ersten Fenster von Arth-Goldau. Die Welt beginnt langsam zu erwachen.

Majestätischer Start in den Tag
Darauf hat sie schon lange gewartet: Die Sonne schaut um Punkt 07:41 Uhr zum ersten Mal hinter der Bergkette am Horizont hervor. Das Schwarz des Nachthimmels wird mit jeder Sekunde tiefer blau. Nur wenige Minuten später zeigt sich die Sonne in ihrer vollen Pracht. Die ersten zarten Lichtstrahlen kitzeln die umliegenden Berggipfel. Die Rigi leuchtet im goldenen Schein der Sonne. Es ist ein unreal schönes Bild, das fast hypnotisierend wirkt. Janine kann sich kaum sattsehen. Es sei Zeit für die Bouillon, freut sie sich bald darauf.
Blick ins Morgenlicht aus Sicht der Königin
Es ist fast schade, diesem alltäglichen und doch wunderschönen Schauspiel den Rücken zu kehren. Lohnen tut es sich aber allemal. Es tritt in Erscheinung, was bis vor kurzem im Dunkeln der Nacht verborgen blieb. Die Aussicht beim Abstieg auf dem Rücken der Rigi im Dunst des Morgenlichts ist unbezahlbar:
«Von hier sieht man den Vierwaldstättersee, das Flachland und unzählige Berge gleichzeitig in leuchtenden Farben.»
Grund genug, kurz tief durchzuatmen und den Moment zu geniessen. Der einzigartige Blick auf den Vierwaldstättersee vor Augen, der Geruch vom würzigen Berggras in der Nase und das Singen der Alpendohlen im Ohr seien eine Belohnung für die müden Beine, meint Janine staunend.
Stärkung mit Ausblick
Das Essen und Trinken schlüpfen in diesem stillen, aber spektakulären Schauspiel in die Nebenrolle. Die Suche nach einem geeigneten Rastplatz ist ein Kinderspiel. Die Auswahl an Bänken mit atemberaubender Aussicht ist gross. Janine erklärt:
«Bei den vielen Touristinnen und Touristen in der Hochsaison werden sicherlich alle Rastplätze begehrt sein.»
Schliesslich wählt sie eine Bank mit Sicht auf den Gipfel sowie auf ihren Wohnort im Flachland. Bei wunderschöner Aussicht wird der Hunger vom Gehen und Staunen gestillt. Die Pause tut auch den ausgelaugten Beinen gut, bevor sie der Abstieg wieder auf Hochtouren bringt.
Abstieg in verändertem Blick
Mit deutlich weniger Kleidern und leichterem Rucksack begibt sich Janine auf den Rückweg zur Seebodenalp. Eigentlich kennt sie den Weg vom Aufstieg heute morgen bereits. Viel davon wahrgenommen hat sie allerdings im Dunkeln vor sechs Stunden nicht. Das macht den bekannten Rückweg fast zu einem Unbekannten. Viele Stellen oder Aussichten habe sie sich ganz anders ausgemalt, stellt sie fest. Die Dichte das Waldes war in der Nacht ein Nachteil, weil sie zusätzliche Dunkelheit schuf. Unter der prallen Mittagssonne, die im Oktober erstaunlich kraftvoll scheint, spenden die Bäume willkommenen Schatten. Beim Auto angekommen, freut sich Janine bereits, die Fotos vom heutigen Tag zuhause anschauen zu können.

War das Erleben dieses majestätischen Sonnenaufgangs das frühe Hervorkriechen unter der Bettdecke wert? Die Antwort erübrigt sich. Das Erwachen der Zentralschweiz von einem Thron aus zu erleben, war magisch. Das kann niemand bequem mit dem Auto oder der Zahnradbahn erreichen. So etwas erfordert trotz aller modernen Technik reine Muskelkraft und Ausdauer.













